Vom Oberfreiamt auf europäische Bobbahnen
14.07.2023 AuwBobfahren gehört in der Schweiz zur Randsportart. Geld verdienen lässt sich auch an der Spitze nicht gross. Dennoch gibt es zwei Oberfreiämter, die es mit Leidenschaft und viel Ehrgeiz in den Weltcup schaffen wollen.
RAHEL HEGGLIN
Pascal Bittel und ...
Bobfahren gehört in der Schweiz zur Randsportart. Geld verdienen lässt sich auch an der Spitze nicht gross. Dennoch gibt es zwei Oberfreiämter, die es mit Leidenschaft und viel Ehrgeiz in den Weltcup schaffen wollen.
RAHEL HEGGLIN
Pascal Bittel und Jan Scherrer kennen sich aus der Leichtathletik. Dass sie zusammen Bobfahren, ist Scherrer zu verdanken. «Mein Vater, Dominik Scherrer, war ebenfalls Bobfahrer. Ich bin sozusagen an der Bahn aufgewachsen», so der Sohn des ehemaligen Natitrainers in dieser Sportart. Mit 19 Jahren absolvierte Scherrer die erste Bobschule im Monobob. Schnell war klar, er will mit einem Team an den Start. So fragte er seinen Leichtathletik-Kollegen, ob er mit ihm zusammen ein Bobteam gründen wollte. Seit nun zwei Jahren starten sie zusammen im Zweier- und Viererbob.
Kräfte von bis zu 5G
Dabei fungiert Scherrer als Pilot, der 24-jährige Bittel als Bremser. «Es ist faszinierend, wie viel Adrenalin einem durch den Körper geht, wenn man am Start steht», erklärt der BWL-Student Bittel. Dem pflichtet auch sein Steuermann bei. «Am Start weiss man, dass man nun den Bob so schnell wie möglich anschieben muss. Das ist entscheidend für einen schnellen Lauf.» Während Bittel während der Fahrt seinen Kopf einzieht und praktisch nichts sieht, muss Scherrer voll konzentriert den Bob durch die Bahn lenken. «Ich muss vom starken Starttier zum filigranen Steuermann wechseln.» Bittel verlässt sich dabei auf Scherrer. «Da wir uns schon lange kennen und ich weiss, dass er den Sport ernst nimmt, vertraue ich ihm vollends.» In der vergangenen Saison haben die beiden Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 145 Kilometern pro Stunde erreicht. Dabei wirken Kräfte von bis zu 5G auf die Körper der Sportler. «Den Schlitten bei solchen Geschwindigkeiten auf den Millimeter genau zu steuern, das macht für mich die Faszination des Bobfahrens aus», so der 22-jährige Steuermann. Lernen und trainieren kann er dies nur im Winter auf der Bobbahn. «Es gibt Simulatoren, um die Bahnen zu lernen. Aber die Echtheit des Steuerns zu trainieren, das geht nur auf einer richtigen Bobbahn.» Anders sieht das beim Anschieben aus. Dafür gehen die beiden regelmässig auf Anschubbahnen. «Anfangs Juni waren wir in Andermatt. Da haben wir neben dem Anschieben auch das Einsteigen geübt», so Bittel.
Grosse Ziele
Ihr Ehrgeiz hat die beiden schon weit gebracht. So erreichten sie an den Schweizermeisterschaften 21/22 und 22/23 den dritten Platz. Einmal mit dem Zweierbob, in der vergangenen Saison mit dem Viererbob. Bis zum vollendeten 26. Lebensjahr treten die beiden in der Kategorie Junior an. Danach gehören sie zu den Aktiven. Von den Rennstufen her fuhren sie bisher im Europacup mit. Ihr Ziel ist allerdings in der nächsten Saison an den Weltcup-Rennen teilzunehmen. Dafür müssen sie Zeit investieren. Für den BWL-Studenten Bittel ein Knackpunkt. «Sollte ich nicht zur Verfügung stehen, muss Jan auf einen anderen Bremser ausweichen.» Etwas einfacher geht es für den Steuermann. «Man ist nicht die ganze Saison am Stück weg. So kann ich als Baumaschinen-Mechaniker die Zeit mit unbezahlten Ferien überbrücken. Ich habe zum Glück einen Arbeitgeber, der mich unterstützt.» Pro Saison gibt es sieben bis acht Rennen. Sieht der Rennplan ein Viererbob-Rennen vor, können die Beiden auf Fahrer aus der ganzen Schweiz zurückgreifen. In der kommenden Saison startet das erste Rennen in Lillehammer. «Dann fahren wir mit dem Auto nach Norwegen, gehen schlitteln und fahren wieder heim», erzählt Scherrer. Was nach einem lustigen Ausflug klingt, ist auch mit viel Nacharbeit verbunden.
Unterstützung durch den Verband
«Pro Fahrt die wir machen, rechnen wir mit einer halben Stunde Arbeit in der Garage.» Dabei geht es um das Kontrollieren der Lenkung, der Bremsen oder um das Bearbeiten der Kurven. Das ist sowieso das Heiligtum jedes Steuermanns. «Keiner verrät dem anderen, wie er die Kufen schleift. Zudem würde ich vorher einen Schlitten verkaufen, bevor ich eine Kufe verkaufe», scherzt Scherrer. Obwohl die Beiden dem nationalen Nachwuchsförderkader angehören, haben sie keine grosse Entourage. Viele Arbeiten am Schlitten müssen sie selbst machen. Zudem zahlen sie auch einen Grossteil der Auslagen für Material und Reisen aus der eigenen Tasche. «Wir werden vom Verband finanziell etwas unterstützt und können auf den Trainer-Staff zurückgreifen. Das ist für mich vor allem an der Bahn sehr wertvoll», so der Pilot. Dabei wird ihm gezeigt, wie die Bahn richtig zu lesen ist. «Das ist schwer und lernt man erst über die Jahre. Deshalb bin ich froh, habe ich jemanden, mit dem ich jede Bahn vor dem Rennen ablaufen und besprechen kann.» Bei Scherrer ist es der eigene Vater, der in den 80er Jahren selbst Weltcup-Rennen fuhr.
Unterschiedliche Zukunftspläne
Leben werden die beiden nie von ihrem Hobby können, dafür sind die Preisgelder beim Bobfahren zu gering. Dennoch will Scherrer sein Hobby weiter professionalisieren. Bittel lässt seine Zukunftspläne noch offen. «Ich will das Beste beim Rennen herausholen und bin mit ganzem Herzen dabei. Aber für mich ist es eher ein Hobby.» Für beide ist jedoch klar, dass sie es in der kommenden Saison in den Weltcup schaffen wollen.