Nicht alle unterstützen den Entscheid
04.04.2025 RegionHarry Lütolf war sieben Jahre im Stiftungsrat des Spitals Muri und hat am Tag der Veröffentlichung der Medienmitteilung, am 18. Februar, seinen Rücktritt eingereicht. Dies zeigt, dass nicht alle Verantwortlichen hinter dem Entscheid, die Geburtenabteilung zu schliessen, ...
Harry Lütolf war sieben Jahre im Stiftungsrat des Spitals Muri und hat am Tag der Veröffentlichung der Medienmitteilung, am 18. Februar, seinen Rücktritt eingereicht. Dies zeigt, dass nicht alle Verantwortlichen hinter dem Entscheid, die Geburtenabteilung zu schliessen, stehen.
RAHEL HEGGLIN
Nach der Podiumsveranstaltung fand ein Apéro für die Anwesenden statt. Im Rahmen dieses Apéros, erzählte Lütolf dem Anzeiger Oberfreiamt brisante Details. «Diese haben ohne mein Zutun den Weg bereits aus dem Spital gefunden und können daher wiedergegeben werden», wie er sagt.
Der scheidende Stiftungsrat
«Die Schliessung der Geburtenabteilung ist nur der Anfang. Diese wird weitere, negative Einflüsse auf die anderen Abteilungen haben», so Lütolf. Einerseits spricht er die Assistenzärzte an, die sich möglicherweise nicht mehr für das Spital Muri interessieren werden. Andererseits könne das Spital auch nicht mehr die Ausbildungen wie heute anbieten. «Man muss also früher oder später mit Freelancern arbeiten, was zu höheren Kosten führen wird.» Was ihn auch verärgerte, wie er sagt, war, dass Familienzimmer an andere Abteilungen vergeben wurden, anstatt an die Geburtenabteilung. «So gingen die Einnahmen auf die Kostenstelle anderer Abteilungen. Diese erzielten damit bessere finanzielle Ergebnisse.»
Diese nicht unwesentliche Information sei ihm erst nach seinem Rücktritt zugetragen worden.
Seit Oktober ein Thema
Lütolf erklärte, dass der Stiftungsrat Ende Oktober zum ersten Mal über die Pläne einer möglichen Schliessung informiert worden war. Anfang Januar sei es dann konkret geworden, und alle acht Stiftungsräte hätten eine Stillschweigevereinbarung unterschreiben müssen. «An diese Vereinbarung habe ich mich gehalten. Aber hinter dem Entscheid kann ich nicht stehen. Das Eigenkapital des Spitals Muri ist aktuell über 60 Millionen Franken. Damit hätte man locker noch mindestens acht Jahre die Geburtenabteilung mit dem aktuellen, defizitären Ergebnis führen können. In ein, zwei Jahren wird sich in der Politik bezüglich der Tarife und der Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen Entscheidendes ändern. So lange hätte man im Spital Muri zuwarten können und auch müssen.»
Geburtenabteilung ist etwas Positives
An der öffentlichen Podiumsdiskussion der Mitte-Partei des Bezirks Muri nahmen rund 40 Personen teil. Es ging um Gründe, Fakten und Lösungen bezüglich Schliessung Geburtenabteilung am Spital Muri. Nur: die Entscheidungsträger, die fehlten.
RAHEL HEGGLIN
Der Anlass fand am Donnerstagabend, 27. März in Boswil statt. Gleich zu Beginn las Moderator Pius Vogel aus dem E-Mail von Stiftungsratspräsidentin Sabina Rüttimann vor, welches sie anlässlich ihrer Absage schickte. Darin begründete sie vier Schwerpunkte, die den Stiftungsrat zu dieser Entscheidung gebracht haben: «Erstens seien die Tarife im stationären und ambulanten Bereich nicht kostendeckend, während die administrativen Anforderungen und Kosten steigen. Zweitens habe das Spital in den letzten Jahren die geforderte Ebitda-Marge von zehn Prozent nicht erreicht, drittens sinke die Geburtenrate schweizweit und viertens reagiere das Spital mit dem Ausbau der Orthopädie und der Akutgeriatrie auf die demografische Entwicklung.» Diese Aussagen wollte Vogel mit seinen Gästen, Grossrätin Franziska Stenico-Goldschmid, Grossrat André Rotzetter und der Medizin-Controllerin Linda Meier einordnen.
Zehn Prozent Marge gefordert
Bezüglich Ebitda-Marge nahm Meier Stellung. Sie arbeitete bis 2021 am Spital Muri und erklärte: «Eine Doktorarbeit aus dem Jahr 1997 untersuchte die finanzielle Gesundheit von Unternehmen anhand der Ebitda-Marge. Das ist das Verhältnis zwischen Einnahmen, Ausgaben und notwendigen Investitionen. Die Analyse ergab, dass eine gesunde Marge für Spitäler bei rund zehn Prozent liegt.» Allerdings sei dieser Wert nur selten zu erreichen. «Es erstaunt mich, dass dieser Wert als Begründung für die Schliessung genannt wird», so Meier. Im vergangenen Jahr seien es von den 278 Spitälern nur vier gewesen, die sie erreicht hätten: «Und dies waren hauptsächlich Privatspitäler.»
Geburten gehören nicht zu den Vorhalteleistungen
Rotzetter sieht das Hauptproblem in der politischen und wirtschaftlichen Landschaft der Schweiz: «Seit Jahren sind die Tarife im Gesundheitswesen eingefroren, während die Kosten kontinuierlich steigen. Die Bevölkerung fordert Einsparungen im Gesundheitswesen, möchte jedoch gleichzeitig keine höheren Krankenkassenprämien zahlen.» Er verwies zudem darauf, dass Spitäler in der Lage sein müssen, sich selbst zu refinanzieren. Investitionen in Infrastruktur und medizinische Geräte seien unerlässlich, um eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Ein weiteres Problem sei, dass im Kanton Aargau Geburten nicht zu den Vorhalteleistungen gehören. «Wenn der Kanton sagt, er wolle in Muri im Grundpaket die Geburtenabteilung haben, würde er finanzielle Defizite ausgleichen», erklärte Rotzetter.
Kein Gespräch mit Personal
Für Stenico ist klar, dass eine Geburtenabteilung auch zur Attraktivität eines Spitals beiträgt: «Diese Abteilung ist etwas Positives. Sonst geht man nur ins Spital, wenn man krank ist oder Schmerzen hat. Wer in dieser Abteilung gute Erfahrungen macht, kommt auch für andere Behandlungen nach Muri.» Sie bedauert es auch, dass das Personal bei der Entscheidung nicht einbezogen wurde. Dass dies so war, bestätigten auch Anwesende, die in der betroffenen Abteilung arbeiten: «Wir wurden am 18. Februar ins Sitzungszimmer zitiert und vor vollendete Tatsachen gestellt. Dies, obwohl uns immer wieder versichert wurde, dass die Geburtenabteilung zum Leistungsauftrag gehört.»
Druck von Öffentlichkeit und Politik
Um die Entscheidungsträger zu einer Umkehr zu bewegen, will Stenico auf dem politischen Weg weiter Druck machen. Zudem kam eine Petition zustande, die von über 7’300 Personen unterzeichnet wurde. In den kommenden Tagen wird diese mit Fragen an die verantwortlichen Personen im Spital Muri geschickt, mit der Bitte um Antwort innerhalb 30 Tage.
Schlussendlich kann aber nur die Spitalleitung und der Stiftungsrat den Entscheid, die Geburtenabteilung zu schliessen, rückgängig machen. Stenico appellierte in ihrem Schluss-Plädoyer an die Verantwortlichen: «Ich fordere die Verantwortlichen auf, den Entscheid nochmals gut zu überdenken und die Geburtenabteilung nicht vorschnell zu schliessen. Bitte prüfen Sie alle möglichen Alternativen gründlich und investieren Sie in einen transparenten Austausch mit allen Betroffenen, um Vertrauen und Akzeptanz zu schaffen. Setzen Sie ein Zeichen, dass das Wohl der Menschen und die ethische Verantwortung der Gesundheitsversorgung oberste Priorität haben im Bezirk Muri.» Mit diesen Worten wurde die Podiumsdiskussion geschlossen und zum Apéro geladen.
Lesen Sie dazu das Interview auf der linken Seite mit Harry Lütolf