Die Pandemie bringt Ueli Maurer ins Freiamt
03.05.2024 AuwDie Freunde der Verfassung, namentlich ihr Präsident Roland Bühlmann, hatten den Alt-Bundesrat zum Kamingespräch nach Auw eingeladen. Das von Philipp Gut moderierte Gespräch drehte sich zu 80 Prozent um Corona.
ANNETTE KNÜSEL
«Wie ...
Die Freunde der Verfassung, namentlich ihr Präsident Roland Bühlmann, hatten den Alt-Bundesrat zum Kamingespräch nach Auw eingeladen. Das von Philipp Gut moderierte Gespräch drehte sich zu 80 Prozent um Corona.
ANNETTE KNÜSEL
«Wie konnte das passieren?» Diese Frage wurde im Laufe des Abends immer wieder gestellt und Ueli Maurer wurde nicht müde, sie freundlich, klar und fundiert zu beantworten. Wie konnte es passieren, dass die Mehrheit der Schweizer sich widerspruchslos in ihren Grundrechten beschneiden liess? Dass Angst die öffentliche Meinung beherrschte und der Schutz der Bevölkerung wichtiger erschien als ihre Freiheit? Dass Entscheidungen getroffen wurden auf Basis von Informationen, die aus heutiger Sicht einseitig und unvollständig waren?
Als wäre die Zeit stehengeblieben
Angekündigt war der Anlass als unterhaltsamer Abend in angenehmer Atmosphäre. Komiker Hugi eröffnete den Reigen mit Zaubertricks, Gags und launigen Sprüchen. Bereits mit seinen ersten Sätzen gab er einen thematischen Rahmen vor: Er habe ja als Komiker zwei Jahre lang nicht arbeiten können, meinte er – und knüpfte damit an die Pandemieerfahrungen an. Der grösste Teil seiner Nummern witzelte über Corona-Probleme wie den Mangel an Klopapier oder das Maskentragen. Man fühlte sich ein bisschen, als sei die Zeit im Jahr 2022 stehengeblieben.
Tendenziöse Fragen
Auch Dr. Roland Bühlmann, der seit zwei Jahren Präsident der Verfassungsfreunde ist, bezog sich in seiner Begrüssung zu allererst auf das Jahr 2022. Damals, am offiziellen Ende der Pandemie, habe man ihm gesagt: «Jetzt braucht’s euch nicht mehr.» Doch das Gegenteil sei der Fall.
Dies also war das Thema des Abends, und Moderator Dr. Philipp Gut ging auch gleich in die Vollen. Er beschrieb die Corona-Massnahmen nonchalant als «Totalversagen der Politik» und fragte arglos: «Wie konnte es so weit kommen?»
Differenzierte Antworten
Die Antwort des Alt-Bundesrats war sachlich und differenziert. Es sei damals eine Dynamik zwischen Politik und Medien entstanden, eine «toxische Mischung», die er sich heute auch nicht richtig erklären könne. Keiner habe sie gestoppt. Der Druck auf die Entscheidungsträger sei enorm gewesen und die Zeit, sich einzuarbeiten, immer knapp. Die Informationen seien besorgniserregend gewesen. Es hätte ja tatsächlich Leute auf der Intensivstation gegeben, mit Atemproblemen und so weiter. Es gab Prognosen über hohe Sterberaten, dazu vonseiten der Medien immer die Frage: «Was macht der Bundesrat? Nehmt ihr in Kauf, dass 30’000 Leute sterben, dass 100’000 Leute sterben? Macht ihr nicht endlich etwas?»
«Hysterie» gestern wie heute
In dieser aufgeheizten Situation musste der Bundesrat im Wochentakt über eine grosse Zahl von Sachfragen entscheiden. Heute kennt Maurer andere Informationen, Papiere und Meinungen als damals, zum Beispiel Briefe von Wissenschaftlern, die damals an den Bundesrat geschickt wurden. «Es war eine einseitige Information und man hat sehr vieles ausgeblendet.» Aber der Bundesrat bekam nie Gegenwind. Das Parlament habe auf jede Bundesratsentscheidung immer noch etwas draufgesattelt, die Massnahmen also verschärft. Das Volk habe dreimal für Notrecht gestimmt. Was Maurer damals schon ahnte, weiss er heute mit Sicherheit: «Wir haben weit übertrieben und müssen es korrigieren.»
Allerdings sieht Maurer heute «die gleiche Hysterie» bei anderen Themen, etwa bei der Klimadiskussion, beim Ukrainekrieg oder der Neutralitätsdebatte. Es sei immer das gleiche Muster zu beobachten: etwas passiert, und sofort wird gehandelt, uninformiert oder sogar wider besseres Wissen. «Wir sind zu wenig langfristig und strategisch unterwegs», kritisierte Maurer.
Absage an Verschwörungstheorien
Doch zu Verschwörungstheorien hielt der Alt-Bundesrat sorgfältig Distanz. Auf suggestive Fragen, etwa nach den heimlichen Strippenziehern hinter den Massnahmen, antwortete er differenziert und sachlich. Zum Beispiel erklärte er, wie die politischen Prozesse – damals wie heute – ablaufen und hielt fest: «Es ist nicht so, dass irgendjemand dort manipuliert hat, sondern es sind immer klare Mehrheiten gewesen für die Verordnungen.»
Sichtlich bewegte Bürger
Etwa 200 Zuhörer waren in die Mehrzweckhalle gekommen. Die Stimmung war gelöst und mehrfach brandete spontaner Applaus auf. Doch in der Fragestunde wurde auch Unbehagen zur Sprache gebracht, Fassungslosigkeit und emotionale Verletzungen, die bis heute nicht geheilt sind.
Die Frage nach der Zukunft
In Zusammenhang mit der Frage, wie die Corona-Zeit aufgearbeitet werden könne, liess sich Maurer zu einer Äusserung hinreissen: Diejenigen, die die Massnahmen beschlossen und mit «wüsten Tiraden begleitet» haben, müssten «zu Kreuze kriechen» und sich für die Einschränkungen entschuldigen. Doch kurz darauf relativierte er: «Es bringt tatsächlich nichts, wenn wir uns gegenseitig sagen ‘du bist schuld – du bist schuld – du bist schuld’. Sondern wir müssen gemeinsam versuchen, die Spaltung zu überwinden. Der Graben ist gross und ich halte es gefährlich fürs Land, wenn wir lange so verharren.»
Und so endete der Abend recht versöhnlich mit allgemeiner Zustimmung und dem obligatorischen Hinweis auf die Spendenbox. Die Diskussionen gingen in kleinen Gruppen weiter. Bei manch einem werden die Worte über den Abend hinaus nachgehallt haben.