Die beste Malerin Europas kommt aus der Schweiz
26.09.2025 HünenbergFür Carmen Bircher ging am vorletzten Wochenende ein unerwarteter Traum in Erfüllung, der ihre berufliche Karriere noch lange beflügeln wird. Sie holte an den EuroSkills Gold. Damit macht sie nicht nur die Schweiz, sondern auch ihren Arbeitgeber Maler Huwiler AG stolz. ...
Für Carmen Bircher ging am vorletzten Wochenende ein unerwarteter Traum in Erfüllung, der ihre berufliche Karriere noch lange beflügeln wird. Sie holte an den EuroSkills Gold. Damit macht sie nicht nur die Schweiz, sondern auch ihren Arbeitgeber Maler Huwiler AG stolz.
RAHEL HEGGLIN
Dass die 22-Jährige überhaupt an den europäischen Berufsmeisterschaften teilnehmen konnte, verdankt sie einem Zufall. Denn 2022 wurde sie an den SwissSkills Dritte. Eigentlich dürfen nur die Erst- und Zweitplatzierten dann an den World- beziehungsweise EuroSkills teilnehmen. Doch damals herrschte noch die Corona-Pandemie und brachte den Zeitplan der Wettbewerbe durcheinander. So kam es, dass an den diesjährigen EuroSkills grundsätzlich niemand aus dem Beruf Maler an den EuroSkills im dänischen Herning vertreten gewesen wäre. «Unser Verband fand, dass dies schade wäre, und deshalb durfte ich als Drittplatzierte aus den SwissSkills 2022 nachrücken», erzählt die Hagendornerin.
Lange Vorbereitungszeit
Was also als Zufall begann, wurde zu ihrer grossen beruflichen Chance. Dafür bereitete sie sich ab Januar intensiv vor. Während neun Monaten trainierte sie Techniken, studierte alte Aufgabenstellungen und übte unter Wettkampfbedingungen, damit sie fit für die EuroSkills wird. Obwohl sie bereits Wettkampferfahrung aus den Schweizer Meisterschaften mitbrachte, konnte sie diese nicht mit den Anforderungen für die Europameisterschaften vergleichen: «Der grösste Unterschied zu den SwissSkills ist die Vorbereitungszeit. 2022 hatte ich nur zwei, drei Wochen bis zum Wettkampf. Für die EuroSkills habe ich neun Monate lang geübt», erklärt sie. Dabei wurde sie auch von ihrem Arbeitgeber, Eugen Huwiler von Maler Huwiler AG in Hünenberg, bestmöglichst begleitet: «Auch wir als Betrieb hatten Freude, dass jemand von uns an die Europameisterschaften reist. Deshalb war es nie ein Thema, Carmen dabei zu unterstützen. Sie hat während der Vorbereitungszeit sogar ihr Pensum reduziert.»
Millimeterarbeit unter Zeitdruck
Welche Prüfungsaufgaben in Herning auf sie warteten, wusste sie im Grossen und Ganzen. Um sich auf den Wettkampf einzustimmen, reiste sie mit der Schweizer Delegation bereits eine Woche früher nach Dänemark. Ernst wurde es dann vom 10. bis 12. September. Während zweieinhalb Tagen wurde von Bircher alles abverlangt, was sie seit Jahresbeginn minutiös geübt hatte: Wände tapezieren, Türen streichen, geometrische Muster frei und genau malen. Insgesamt kämpften 16 Nationen in der gleichen Berufsgattung um den Sieg. Wie es um ihre Arbeiten während des Wettkampfs stand, konnte Bircher nicht einordnen. «Ich war total auf meine Arbeit fokussiert. Zudem hat man keine Zeit, links und rechts zu schauen.» Dass der Fokus wichtig ist, zeigt sich am Bewertungssystem: «Abweichung von mehr als einem Millimeter galten bereits als Fehler. Wir mussten extrem präzise arbeiten», sagt sie. Zusätzlich zu diesen verschiedenen Aufgaben gab es einen Speed-Wettbewerb, bei dem Muster in Rekordzeit abgeklebt und ausgemalt werden mussten, und die Umsetzung eines eigenen Kreativprojekts. Bircher entschied sich für ein Motiv aus der Welt von Harry Potter. Mit Spachteltechniken, Farbverläufen und zwei Drachen zeigte sie dabei ihre künstlerische Seite.
Der grosse Moment
Am Freitagmittag, 12. September war ihr Wettkampf vorbei und damit Zeit für Erholung. Die Rangverkündigung stand erst am folgenden Samstagabend an. Bircher war zwar sehr zufrieden mit ihrer Leistung, konnte aber immer noch nicht genau abschätzen, wo sie sich platziert hatte. «Als dann mein Name auf dem ersten Rang aufgerufen wurde, war das ein absolut surrealer Moment. Ich konnte es kaum fassen, hatte aber riesig Freude.» Auch ihr Chef war in der Halle in Herning dabei. «Das war ein sehr schöner Moment. Diese Emotionen und Freude mit der Schweizer Delegation live mitzuerleben und zu teilen», sagt Huwiler.
Auch er wusste nicht, wie seine ehemalige Lehrtochter im Rennen lag: «Ich sah zwar ihre Arbeit beim Wettbewerb und wusste, dass es eine Top-Leistung ist. Aber ganz genau kann man es aus der Distanz nie beurteilen. Umso erfreuter bin ich, dass sie gewonnen hat.»
Gold als Türöffner
Was ihr die Goldmedaille langfristig bringen wird, weiss Bircher noch nicht. «Sicher ist der Sieg etwas, das im Lebenslauf auffällt. Vielleicht eröffnet er mir Türen, wenn ich mich mal irgendwo bewerben würde.» Wichtig ist ihr im Moment vor allem, dass sie durch den Wettbewerb viel gelernt hat, auch persönlich: «Ich habe meine Grenzen kennengelernt, bin selbstbewusster geworden und weiss jetzt, was ich alles schaffen kann.»
Dass die Wettkampferfahrung und die präzise Vorbereitung sie persönlich geformt haben, sieht auch ihr Chef so: «Carmen ist als Handwerkerin dadurch einen grossen Schritt weitergekommen. Sie hat Konzentration, Durchhaltevermögen und Präzision trainiert. Das sind Fähigkeiten, die sie im Beruf weiterbringen.»
Nach den ereignisreichen Tagen ist Bircher diese Woche wieder in den Berufsalltag in Hünenberg eingestiegen. Ab Januar ist bei ihr aber bereits wieder lernen angesagt. Dann beginnt sie eine Weiterbildung zur Dekorationsmalerin.